Erinnerung an den Brand im Goetheanum in Dornach vor 100 Jahren

©Goetheanum&XueLi

Menschenseele!

Du lebest in den Gliedern,

Die dich durch die Raumeswelt

In das Geistesmeereswesen tragen:

Übe Geist-Erinnern in Seelentiefen,

Wo in waltendem

Weltschöpfer-Sein

Das eigne Ich

Im Gottes-Ich

Erweset;

Und du wirst wahrhaft leben

Im Menschen-Welten-Wesen.

Denn es waltet der Vater-Geist der

Höhen

In den Weltentiefen Sein-erzeugend:

Ihr Kräfte-Geister

Lasset aus den Höhen erklingen,

Was in den Tiefen das Echo findet;

Dieses spricht:

Aus dem Göttlichen weset die

Menschheit.

Das hören die Geister in Ost, West,

Nord, Süd:

Menschen mögen es hören.

Menschenseele!

Du lebest im ruhenden Haupte,

Das dir aus Ewigkeitsgründen

Die Weltengedanken erschließet:

Übe Geist-Erschauen

In Gedanken-Ruhe,

Wo die ew’gen Götterziele

Welten-Wesens-Licht

Dem eignen Ich

Zu freiem Wollen

Schenken;

Und du wirst wahrhaft denken

In Menschen-Geistes-Gründen.

Denn es walten des Geistes Weltgedanken

Im Weltenwesen Licht-erflehend.

Ihr Seelen-Geister

Lasset aus den Tiefen erbitten,

Was in den Höhen erhöret wird:

Dieses spricht:

In des Geistes Weltgedanken erwachet

die Seele.

Das hören die Geister in Ost, West,

Nord, Süd;

Menschen mögen es hören.

Menschenseele!

Du lebest in dem Herzens-Lungen-

Schlage,

Der dich durch den Zeitenrhythmus

Ins eigne Seelenwesensfühlen leitet:

Übe Geist-Besinnen

Im Seelengleichgewichte,

Wo die wogenden

Welten-Werde-Taten das eigne Ich

Dem Welten-Ich

Vereinen;

Und du wirst wahrhaft fühlen

Im Menschen-Seelen-Wirken.

Denn es waltet der Christus-Wille im

Umkreis

In den Weltenrhythmen Seelen-begnadend.

Ihr Lichtes-Geister

Lasset vom Osten befeuern,

Was durch den Westen sich formet;

Dieses spricht:

In dem Christus wird Leben der Tod.

Das hören die Geister in Ost, West,

Nord, Süd:

Menschen mögen es hören.

 

In der Zeiten Wende

Trat das Welten-Geistes-Licht

In den irdischen Wesensstrom;

Nacht-Dunkel

Hatte ausgewaltet;

Taghelles Licht

Erstrahlte in Menschenseelen;

Licht,

Das erwärmet

Die armen Hirtenherzen;

Licht,

Das erleuchtet

Die weisen Königshäupter.

Göttliches Licht,

Christus-Sonne,

Erwärme

Unsere Herzen;

Erleuchte

Unsere Häupter;

Dass gut werde,

Was wir

Aus Herzen

Gründen,

Aus Häuptern

Zielvoll führen wollen.

Rudolf Steiner

Der Grundsteinspruch

 

Am 31. Dezember 1922, der Silvesternacht, brannte das erste Goetheanum durch Brandstiftung ab. Kurz nach Mitternacht, im neuen Jahr, brach das Feuer durch die Kuppel und schoss eine Flammensäule zum Himmel, die über die Schweizer Landesgrenzen in Deutschland und Frankreich gesehen werden konnte.

Das erste Goetheanum war ein Bau der Liebe. Vor, während und nach dem 1. Weltkrieg haben Menschen aller Nationen europa- und weltweit an dem Gebäude gearbeitet. Architektonisch, künstlerisch, und gestaltend hat die Aufgabe des gemeinsamen Baus die Menschen zusammengebracht. Der Brand zerstörte nicht nur das äußerliche Gebäude, sondern die ganze anthroposophische Gesellschaft und Gemeinschaft musste neu gefasst werden. Dies geschah mit der Weihnachtstagung im folgenden Jahr. Neben den Ruinen des ersten Goetheanums, im Saal der Schreinerei, trafen sich die Menschen zusammen mit Rudolf Steiner und es wurde ein neuer Impuls in die Welt gebracht.

Heute, 100 Jahre später, hatte ich das Glück an der Nachtwache in der Silvesternacht persönlich teilzunehmen. Von 22 Uhr abends bis 9 Uhr morgens war der Dornacher Hügel lebendig mit Vorträgen, Ausstellungen, Rezitationen, Kunst-workshops, Eurythmie, Konzerten und Filmvorführungen – zur mitternächtlichen Stunde wurde der Grundsteinspruch im großen Saal aufgeführt.

Der Grundsteinspruch als Meditationsspruch ist ein Mikrokosmos für unser Welterleben. Wir finden in ihm die Imaginationen, welche als Samen unsere Seelen zum Erwachen bringen können. Der vielgliedrige Mensch in all seinen bunten Facetten wird gemalt und durch lebendige, rhythmisch sich wiederholende und metamorphosierende Vignetten neu ergriffen. Das Ganze, wenn laut gesprochen, gleicht einem tiefen Ein- und Ausatmen.

Die drei Tafeln werden abgerundet mit der weihnachtlichen Imagination der Zeitenwende.

Im Sinne der letzten Zeilen: Dass gut werde, was wir aus Herzen gründen, aus Häuptern zielvoll führen wollen möchte ich Ihnen allen ein frohes neues Jahr wünschen. Mögen wir den Mut finden, zuversichtlich den Herausforderungen der Zukunft entgegenzutreten, und sie mit liebevoller Seelenstärke zu umarmen und umzuwandeln.

Ihre Sabine Kully

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